Der erste Gang – Anfahren mit einer soliden Literaturrecherche

Wer ein Motorrad fährt, weiß: Ohne den ersten Gang bewegt sich nichts. Er bringt uns vom Stillstand ins Rollen, schafft den Übergang von der Theorie in die Praxis. In der Wissenschaft übernimmt diese Rolle die Literaturrecherche. Sie ist der erste Schritt einer Dissertation – und bestimmt, wie flüssig, sicher und zielsicher man die kommenden Etappen meistert.

Genauso wie man beim Motorradfahren nicht sofort mit Höchstgeschwindigkeit losbrettert, sollte man auch in der Forschung nicht unvorbereitet loslegen. Eine solide Literaturrecherche ist das „Anfahren“: behutsam, strukturiert und mit einem klaren Blick auf die Strecke vor uns. Wer hier Zeit und Sorgfalt investiert, spart später viel Energie und vermeidet unnötige Pannen.

1. Warum der erste Gang so entscheidend ist

Der erste Gang hat zwei Aufgaben: Kraft aufbauen und Kontrolle behalten.

In der Dissertation bedeutet das:

  • Kraft aufbauen heißt, ein tiefes Verständnis des bisherigen Forschungsstands zu gewinnen. Nur wer weiß, was schon erforscht wurde, kann gezielt neue Fragen stellen.
  • Kontrolle behalten heißt, das Thema so einzugrenzen, dass es in der vorgegebenen Zeit und mit den verfügbaren Ressourcen realistisch zu bearbeiten ist.

Wer diesen Schritt überspringt oder hastig durchfährt, riskiert Fehlwege. Das kann bedeuten, dass man bekannte Ergebnisse erneut erarbeitet (was selten gut ankommt) oder dass man wichtige theoretische Grundlagen übersieht. In beiden Fällen drohen zeitintensive Korrekturen.

2. Der Start: Orientierung im Gelände

Beim Motorradfahren ist es gefährlich, loszufahren, ohne zu wissen, wo die Straße hinführt. In der Literaturrecherche bedeutet das, den Forschungsraum zu verstehen, bevor man konkrete Schritte plant.

Dazu gehört:

  1. Das Thema grob umreißen – Welche Schlüsselbegriffe, Theorien und Konzepte sind relevant?
  2. Das Terrain verstehen – In welchen Fachgebieten wird das Thema diskutiert, und welche Perspektiven gibt es?
  3. Die Karte erstellen – Welche Datenbanken, Archive und Fachzeitschriften sind relevant?

Gerade in der Anfangsphase ist es sinnvoll, zunächst breit zu suchen. So lässt sich das Feld in seiner ganzen Vielfalt erfassen. Erst danach verengt man den Fokus auf die besonders relevanten Teilbereiche.

3. Die richtige Gangwahl: Von allgemein zu spezialisiert

Ein erfahrener Fahrer weiß: Man startet im ersten Gang, schaltet dann aber hoch. Genauso verhält es sich in der Recherche.

  • Erster Gang: Überblicksartikel, Handbücher, Einführungswerke. Sie helfen, den theoretischen Rahmen zu verstehen.
  • Zweiter Gang: Fachzeitschriften, thematisch fokussierte Monografien, Konferenzbeiträge. Hier findet man vertiefte Diskussionen.
  • Dritter Gang: Aktuelle Studien, unveröffentlichte Manuskripte, Preprints. Damit bleibt man auf dem neuesten Stand.

Diese Abfolge verhindert, dass man sich zu früh in Spezialfragen verliert, bevor das Fundament steht.

4. Die Werkzeuge des Fahrers: Recherchequellen und Methoden

Kein Biker fährt ohne funktionierendes Motorrad los – und kein Forscher ohne solide Recherchewerkzeuge.

Wichtige „Ausrüstung“:

  • Akademische Datenbanken wie Web of Science, Scopus oder PubMed
  • Fachspezifische Suchmaschinen wie IEEE Xplore (Technik), PsycINFO (Psychologie) oder ERIC (Bildungsforschung)
  • Bibliothekskataloge lokaler und internationaler Hochschulen
  • Zitationsanalysen, um einflussreiche Arbeiten zu identifizieren
  • Graue Literatur wie Berichte, Dissertationen oder Working Papers, die nicht immer in Standard-Datenbanken auftauchen

Wie beim Fahren gilt: Wer sein Werkzeug beherrscht, spart Zeit und vermeidet gefährliche „Schlenker“.

5. Häufige Stolpersteine beim Anfahren

Gerade am Anfang lauern Fallen, die den Forschungsprozess verlangsamen oder entgleisen lassen können:

  • Zu früh Gas geben: Man beginnt zu schreiben, bevor man das Forschungsfeld verstanden hat.
  • Blindlings losfahren: Quellen werden unkritisch übernommen, ohne ihre Qualität zu prüfen.
  • Sich verfahren: Man verzettelt sich in Randthemen und verliert den roten Faden.

Die Lösung: bewusst langsam starten, gezielt suchen, systematisch dokumentieren – auch wenn der Drang groß ist, sofort „loszuballern“.

6. Dokumentation – Das Bordbuch der Forschung

Motorradfahrer führen oft ein Bordbuch, um Strecken, Tankstopps und Wartungen festzuhalten. In der Forschung übernimmt diese Funktion ein Literaturverwaltungsprogramm wie Zotero, EndNote oder Citavi.

Tipps für die Dokumentation:

  • Alle Quellen konsequent erfassen, auch wenn sie zunächst nebensächlich erscheinen.
  • Wichtige Passagen mit Notizen versehen, um später schnell auf Inhalte zugreifen zu können.
  • Schlagworte vergeben, damit sich Themen leichter gruppieren lassen.

Dieses „Bordbuch“ ist Gold wert, wenn es ans Schreiben oder an die Verteidigung geht.

7. Vom Anfahren zum flüssigen Fahren

Sobald die Grundlagen stehen, „schaltet“ man hoch: Die Fragestellung wird präziser, Methoden werden festgelegt, und der theoretische Rahmen ist klar. Doch selbst im „fünften Gang“ bleibt die Literaturrecherche wichtig – sie läuft im Hintergrund weiter wie der Motor, der alles antreibt.

Erfahrene Forscher wissen: Recherche ist ein kontinuierlicher Prozess. Neue Studien können bestehende Annahmen stützen oder infrage stellen. Flexibilität ist daher essenziell – genauso wie ein Fahrer, der auf plötzliche Änderungen der Strecke reagieren kann.

8. Fazit: Wer sauber anfährt, fährt sicherer

Der erste Gang ist nicht dafür da, Höchstgeschwindigkeiten zu erreichen, sondern den Übergang vom Stillstand zur Bewegung sicher zu gestalten. Eine solide Literaturrecherche erfüllt genau diesen Zweck:

  • Sie gibt Orientierung im Forschungsfeld.
  • Sie verhindert teure „Umwege“.
  • Sie schafft ein stabiles Fundament für die gesamte Dissertation.

Ob man auf einem gemütlichen Cruiser oder einem nervenaufreibenden Supersportler unterwegs ist – wer den Start sauber meistert, hat die besten Chancen, die gesamte Forschungsreise erfolgreich zu bewältigen.